Welche Erfahrungen haben Sie als junger Schiri gemacht?
N. Walther: Hat die Jugend keine Lust mehr auf die Pfeife?
Diese Frage stellten wir in unserer letzten Ausgabe. Offensichtlich hat sie unsere Leser bewegt. Die folgenden Leserbriefe, die bei unserer Redaktion eingingen, spiegeln die Freude an der Schiedsrichterei, aber teilweise ist auch Unmut zu spüren. Lesen Sie selbst, wie man sich als junger Schiedsrichter fühlen kann.
Natürlich freuen wir uns auch weiterhin über Ihr Feedback. Senden Sie uns Ihre positiven oder auch negativen Erfahrungen als aktiver Schiedsrichter. Hat man Sie am Anfang Ihrer Laufbahn eng begleitet? Wer hatte ein offenes Ohr für Ihre Probleme? Berichten Sie uns über Ihren Schiedsrichter-Start, Ihre Erlebnisse und Ihre Motivationshilfen! Schicken Sie uns eine E-Mail: handballschiedsrichter@philippka.de oder schreiben Sie per Post an den Philippka-Sportverlag, Rektoratsweg 36, 48159 Münster.
Annika Kirsten, 15 Jahre
Meine Freundinnen Tizia Appelt, Juliane Sontowski und ich pfeifen nun seit anderthalb Jahren im Handballkreis Industrie. Als wir über unseren Verein, den VfL Gladbeck, von dem Schiedsrichteranwärterlehrgang hörten, haben wir uns gemeinsam entschlossen, teilzunehmen. Der theoretische Unterricht war für uns nicht besonders spannend. Der praktische Unterricht hingegen hat uns viel Spaß gemacht, da wir auch miteinander Handball spielen konnten. Dort hatten wir auch zum ersten Mal eine Pfeife in der Hand. Anfangs waren wir noch sehr unsicher. Auch bei unserer praktischen Prüfung war dies noch der Fall. Als wir aber im regulären Spielbetrieb zu pfeifen begannen, lief es gleich viel besser.
Zu dieser Zeit entstand in unserem Verein eine ganze Jugend-Schiedsrichterabteilung, und die neuen Jungschiedsrichter, die im nächsten Jahr den Anwärterlehrgang besuchen wollten, wurden auf die Aufgabe vorbereitet und konnten in unserem Verein Spiele pfeifen. Auch wir wurden in diesen Spielbetrieb eingebunden. Uns betreut ein Ehrenamtlicher des Vereins, Heiko Rutkowski. Von Ihm ist alles ausgegangen, er geht auch auf die Jugendspieler zu, um sie zum Pfeifen zu motivieren. Bei unseren Spielen bekamen wir viel Verständnis und auch Anerkennung, manchmal vielleicht sogar zu viel. Natürlich wurde manchmal auch gemeckert. Aber ich denke, dass das normal ist. Da wir uns untereinander sowieso alle kannten, haben wir uns von Anfang an sehr gut verstanden und auch etwas gemeinsam unternommen. Vor Weihnachten sind wir bowlen und Pizza essen gegangen, um miteinander zu feiern, dass wir beim Jugendsportpreis in Gladbeck in der Kategorie „Jugend übernimmt Verantwortung“ gewonnen haben. Das war eine schöne Bestätigung, aber noch wichtiger ist, dass uns das Pfeifen selbst viel Spaß macht.
Unter folgendem Link findet sich ein Zeitungsartikel der WAZ über das Konzept des VfL Gladbeck: http://www.derwesten.de/sport/lokalsport/gladbeck/das-modell-des-vfl-gladbeck-funktioniert-id11438165.html
Jonas*, 18 Jahre
Ich heiße Jonas* und pfeife zusammen mit meinem ein Jahr älteren Partner gerade meine zweite Saison. Angefangen habe ich mit Spielen der F- bis D-Jugend in unserem Verein. Schon da habe ich mit meinem jetzigen Gespannpartner zusammen gepfiffen und von Ihm gelernt. Nachdem ich 2014 meinen Schiedsrichterschein in einem Anwärterlehrgang mit gerade mal zehn Teilnehmern gemacht habe, pfeifen wir seit der Saison 2014/15 auch offiziell. Da unser Handballkreis einen Umbruch erlebte, blieb für Jungschiedsrichter (JSR) keine Zeit. In diesem Zeitraum hatte ich das Glück, zufällig einen JSR-Beauftragten kennenzulernen, der sich meiner annahm. Von seinem Wissen habe ich sehr profitiert. Allerdings habe ich nach den „Basics“, die er mir beibrachte, das restliche Jahr wieder mit meinem Gespannpartner ohne weitere Unterstützung gepfiffen. Wir wurden lediglich einmal beobachtet – für ein junges Gespann eigentlich viel zu wenig. Dennoch haben wir uns durch sehr viel Eigeninitiative weiterentwickelt.
Seit dieser Saison pfeifen wir im Bezirks-Anschlusskader. Bei uns werden zwei Beobachtungen in der ganzen Saison durchgeführt, was noch immer viel zu wenig ist! Die Erfahrung zeigt, dass man sich auch mit einem gleichaltrigen Gespannpartner gut weiterentwickeln kann.
Bei den ersten Herren-Spielen war es sehr schwer, sich durchzusetzen. Wir haben viele Strafen wegen Meckerns und auch rote Karten wegen Beleidigungen geben müssen. Nachdem wir uns durch bestimmtes, aber freundliches Auftreten mehr Respekt verschafft haben, wurden wir teilweise als arrogant bezeichnet. Diese Meinung teilten zum Glück die wenigsten. Wir haben bei dieser Problematik viel zu wenig Unterstützung und Rückendeckung erhalten. Videoaufnahmen zur Analyse sind nur aus Eigeninitiative heraus entstanden. Und ein Feedback wie: „Habt ihr gut gemacht, Jungs!“, ist zwar sehr nett, bringt einen aber nicht wirklich weiter. Viele befreundete JSR haben an dieser Stelle kapituliert.
Der schlimmste Moment, den ich erlebt habe, war, als zwei weibliche JSR während einer Spielbegegnung angefangen haben zu weinen, weil ein Offizieller auf das Spielfeld gerannt kam und sie beschimpfte. Es fehlt eben teilweise die Akzeptanz der älteren Spieler und die Einsicht, selbst wenn der Schiedsrichter Recht hat. Trainer und Spieler erwarten oft, dass wir JSR ab dem ersten Spiel fehlerlos pfeifen. Das geht nicht! Fehler müssen gestattet sein.
Ich hatte diese Saison bei einem Spiel der Frauen-Bezirksliga eine Trainerin, die Einspruch einlegen wollte. Anstatt mir einen ausformulierten Einspruch mit Regelbezug zu liefern, bekam ich die Wut über eine schlechte Mannschaftsleistung zu spüren. O-Ton: „Der Schiedsrichter pfeift parteiisch für die Heimmannschaft, was an zahlreichen 2-Minuten-Strafen und nicht geahndeten, regelwidrigen Sperren zu erkennen ist.“ So etwas von einer erfahrenen Trainerin zu hören, ist extrem nervig und beschäftigt einen durchaus. In ein paar Wochen pfeife ich bei der gleichen Mannschaft erneut.
Wir erleben aber auch viel Positives. Bei einem Landesliga-Spiel vor kurzem haben wir uns in der Halbzeit und nach dem Spiel kritisch und konstruktiv zusammen mit dem anwesenden Schiedsrichterbeauftragten mit unserer Leistung auseinandergesetzt. Das hat uns auf jeden Fall weitergebracht. Wir werden auch oft von Offiziellen mit einem Lächeln empfangen, da sie sich über junge Schiedsrichter freuen. Es wird durchaus positiv aufgenommen und von Trainern entsprechend honoriert, wenn man mit viel Engagement bei der Sache ist. Ein guter Freund aus einem anderen Handballkreis hat mangels gleichaltriger Partner die ersten anderthalb Jahre mit einem guten und erfahrenen Partner gepfiffen und sich dadurch, wie im Artikel von N. Walther beschrieben, auch entsprechend gut entwickelt. Für uns JSR können die älteren aber sowohl Segen als auch Fluch zugleich sein. Bei einem Herren-Spiel wurden wir aufs Übelste von einem älteren Schiedsrichterkollegen von der Tribüne aus beschimpft. Viele ältere Schiedsrichter wollen die Jugend anscheinend nicht fördern oder sie nicht in den höheren Spielklassen pfeifen sehen.
Neulich war über einen JSR auf Facebook ein Artikel, in dem er dafür geehrt wurde, dass er schon in so jungen Jahren so viel für diesen Sport tut. Die älteren Schiedsrichter wetterten in den Kommentaren teils heftig gegen ihn – auch mit Äußerungen, die man als „unter der Gürtellinie“ bezeichnen muss. Wenn man also das Zeug hat, weiterzukommen, wird es demjenigen nicht gegönnt.
Andererseits gibt es die Gespanne, die sich weniger über ihre gezeigten Leistungen als über gute Kontakte für „höhere Weihen“ empfehlen. Es geht oft eher darum, die richtigen Leute zu kennen, als tatsächlich gut zu pfeifen. Das ist dann absolut demotivierend.
Eine höhere Aufwandsentschädigung wäre da auch nicht das richtige Mittel, um Schiedsrichter dauerhaft für ihre Aufgabe zu begeistern. Mich persönlich motiviert es viel mehr, die Leistung mit der Ansetzung für wichtige Spiele honoriert zu bekommen. Dafür bekommt pfeift man ja schließlich! So ist es auch in dieser Hinsicht nicht richtig, dass Spiele in Ligen, in denen man die ganze Saison gepfiffen hat, von Schiedsrichtern aus viel höheren Klassen gepfiffen werden, sobald es z.B. um die Meisterschaft geht. Es wäre doch eine super Belohnung, ein solches Spiel pfeifen zu dürfen! Aber kennt man nicht die richtigen Leute, wird es schwer, diese Spiele zugeteilt zu bekommen. Das ist sicherlich nicht bei jedem Ansetzer so, aber leider bei einigen.
Das waren also die wichtigsten Erfahrungen, die ich bisher als JSR gemacht habe und die ich gerne mit Ihnen teilen wollte – um ein Bewusstsein für die Situation zu schaffen.